Henriette ist unruhig … ich auch. Es geht wieder los!
➡︎ 88 km, ⬆︎ 1.910 m, ⬇︎ 260 m
Die Passer rauschte, die Nacht war fein – so soll’s sein. Es ist morgens schon ziemlich schwül-warm, das ist typisch für das windgeschützte Etschtal, das hier (auch wenn durch den Vinschgau bereits die Etsch fließt) anfängt.
Henriette sieht ein wenig morkelig nach der gestrigen Wasserdurchquerung aus, da in ihrem feuchten Zustand Sand und allerhand Gedöhns an ihr hängen geblieben ist. Ich frage mich manchmal, ob sie sich nicht auch irgendwie Keime einfangen kann, so pattig wie sie oft ist. Aber ich liebe es, wenn sie aussieht wie nach Schlammcatchen – dann fühle ich mich nicht so allein mit meinem Äußeren.
Nach der Erfrischung in der Passer und Frühstück geht’s wieder durchs Wasser und den staubigen Morkel-Sand, durch Büsche, hoch zum Weg. Henriettes Felgen und meine Hobbitfüße andeutungsweise putzen – und ab geht es runter nach Meran. Heute fahre ich nur durch die Stadt durch und halten nicht noch mal.
Vorbei an Palmen, mondäner Architektur im mediterranen Stil geht es nun an die Etsch, deren Verlauf ich nun einige Kilometer flussabwärts an Burgen und Apfelplantagen entlangfahre. Es ist aufgrund des feuchtwarmen Klimas diesig und die Silhouetten der Berge sind nicht scharf zu sehen.
➡︎ 113 km, ⬆︎ 1.590 m, ⬇︎ 3.370 m
Isomatte in die Hängematte geschoben, lange Hose und wärmende Jacke übergestreift – nachts wurde es hier oben dann doch ziemlich kalt, vor allem am Rücken. Also etwas präparieren, damit die Tour nicht durch eine Unterkühlung endet. Und trotzdem: herrlich. Eingemummelt, leicht schwingend, beseelt von den Eindrücken der letzten Tage. Einfach nur müde sein dürfen – Tiefschlaf in der Hängematte.
Aufwachen im Wald auf über 2.150 Metern – wie nach einer Vollnarkose. Freude und leichte Aufregung auf einen neuen, besonderen Tag. Dominik war schon längst wach, hatte alles gepackt und wartete wohl auf mein Erwachen. Während ich benebelt prüfte, ob meine Schuhe und Klamotten noch an den Bäumen hingen und versuchte, mein Gleichgewicht wieder mit meinem Gehirn zu koppeln, kam er mit einem Topf und Löffel auf mich zu. „Hast du ein Gefäß?“ – er hatte extra Müsli mit Banane, Honig und KO-Tropfen für mich gemacht. (Keine Sorge, die KO-Tropfen sind nur mein Scherz).
Morgens bin ich leicht überfordert, also drückte ich ihm reflexartig meinen Kochtopf in die Hand. Im selben Moment dachte ich: „Mist, da wollte ich doch eigentlich meinen Kaffee drin brutzeln.“ Egal – die Geste war einfach superlieb. Und das Müsli war wirklich lecker. Ich hoffe nur, dass ich nicht unfreundlich wirkte – Dominik war nämlich ein sehr sympathischer Mensch. Ich bin morgens halt gern etwas still für mich, das hat nichts mit dem Gegenüber zu tun.
➡︎ 107 km, ⬆︎ 2.090 m, ⬇︎ 1.010 m
Der frühe Vogel ist mal wieder längst weg und hat mich nicht mitgenommen. Die Matratze auf der Dachterrasse hat mich noch festgehalten, und meine müde Trägheit hat sich ihrer Macht ergeben (wie fast immer).
Die Nacht war eigentlich richtig schön. Aber ich hatte mal wieder ordentlich Panik-Attacken. Da ich das öfter habe, haut mich das – auch wenn’s mega anstrengend ist – nicht mehr ganz so aus den Badelatschen.
Die Angst ist wie ein Familienmitglied, das sich hin und wieder meldet, sich in mir breitmacht und dann aus meinen Augen in eine Welt schaut, die sie nicht wirklich versteht – in der sie sich fremd und allein fühlt. Dann muss der erwachsene Teil von mir versuchen, nach vorne zu treten, sich um die Angst zu kümmern und sie zu beruhigen.
Heute Nacht stand sie wieder fest neben mir, besser gesagt in mir und war völlig panisch: Was machst du da? Wo bist du? Pässe? Niemals schaffst du das! Dein Körper? Du bleibst irgendwo hängen, bist überfordert, fällst zurück in dieses grausame Dunkel und bist hilflos ausgeliefert. Ich weiß doch gar nicht, wo ich bin – und hier ist niemand, der aufpasst.
Und dann muss ich mich schütteln: Hey, keine Angst. Schau dich an. Schau, was wir schaffen. Uns kann man nackig in einen Wald schicken, und am anderen Ende kommen wir in einem Anzug gekleidet wieder raus – mit tollen Erlebnissen und Begegnungen.
Für Außenstehende ist das vielleicht schwer nachzuvollziehen – wenn man sieht, was ich sonst mache, wie viel Gottvertrauen ich habe und wie ich mich freuen kann, einfach nur zu atmen. Und trotzdem gibt es diese kleinen frechen Dämonen mit ihren traurigen Geschichten, die einfach in den Arm genommen werden wollen, um sich zu beruhigen.
So, nun habe ich mich aber genug nackig gemacht.
➡︎ 86,1 km, ⬆︎ 780 m, ⬇︎ 340 m
Guten Morgen aus Zirl am Inn. Auf dieser Kieselsteinbank, am Zufluss des Schloßbaches in den Inn, hat das Schlafen erstaunlich gut funktioniert. Da es hier keine Tiere gab – weder groß noch klein – brauchte ich kein Zelt, keinen Insektenschutz und keine Hängematte, nur die Isomatte und den Schlafsack. Der war in der Nacht zwar ziemlich klamm, aber das kam von der Luftfeuchtigkeit. Kurz dachte ich im nächtlichen Halbschlaf: ‚Oh je, eingepullert aus lauter Angst – oder das Einsetzen der Wechseljahre mit erhöhter Schweißproduktion?‘ (Scherz – ich hab geschlafen wie ein Stein). Dass der Schlafsack klamm wird, ist an Gewässern in der Nacht für mich bekannt, und wenn das Wetter am nächsten Morgen fein ist, trocknet er bei meiner späten Aufstehzeit von allein durch die Sonnenstrahlen noch vor dem ersten Aufblitzen.
➡︎ 141 km, ⬆︎ 1050 m, ⬇︎ 1650 m
Am vierten Tag der Tour sind wir 141 Kilometer geradelt und haben dabei 1.050 Höhenmeter geschafft. < Kam mir in echt aber deutlich mehr vor.
Heute früh wecken mich mitten im Wald Gerda, Kunigunde, Tekla und Bernd – neugierige Kühe, süß, schreckhaft, mit viel Geschnaufe. Anfangs war ich noch skeptisch und hoffte, dass sie mich nicht aus Versehen umrammeln… wenn die wüssten, was für Riesen sie eigentlich sind. Aber hey, mein Tag startet mit Kuh-Konzert – und je länger wir uns aneinander gewöhnen, desto vertrauter und entspannter wird es auch in mir.
Ist Kuhdung eigentlich gut für dezent muffelnde, verrunzelte Füße? Ich hoffe ja, denn als ich so über den Waldboden tänzelte und meine Füße in den gedachten Waldboden versanken, war mir doch relativ schnell klar: Ok, doch kein Waldboden. Herrlich, jetzt müssen die Kühe mich mögen, wenn ich mich sogar in deren Auswurf stellen.
Etwas später – nach der Reinigung – dann feiner Kaffee und ein typisch improvisiertes Frühstück zwischen dem Grün der Bäume, der wärmenden Sonne und meinen neunen Freundinnen und Freunden. Alles zusammengesucht – und dann geht’s hinab ins Salzachtal.
Die Abfahrt war mega schön, denn wenn du mit dem Rad da stehst, wo andere Leute mit Gondeln ankommen, ist das schon cool.
➡︎ 80,1 km, ⬆︎ 1180 m, ⬇︎ 460m
Im Sand vor meinem Zelt laufen super viele kleine, garstige Mädels und Jungs (Ameisen) rum, die anfänglich ins Zelt geklettert sind und gebissen oder – besser – gepullert haben. <- keine Erziehung 😊 Also den Zelteingang mit Autan besprühen, das hat super geholfen.
Eine Erfrischung in der Saalach und ein Happen Pappen mit Kaffee.
Zusammenpacken und die sperrige Henriette durch das sandige Dickicht pressen. Da bemerkt man erst, wie schwer das Mädel wirklich ist.
➡︎ 141 km, ⬆︎ 790 m, ⬇︎ 640m
Von Reichenberg (A) über Braunau, an die Salzach nach Salzburg weiter in die Alpen, hinter Bad Reichenhal.
Heute, am dritten Tag, bin ich 141 Kilometer und 790 Höhenmeter gestrampelt. Es ging über Braunau am Inn weiter runter entlang des Flusses, der alles andere als in einem natürlichen Flussbett fließt und eher an einen riesigen See ohne Schiffsverkehr erinnert. Dennoch gibt es seitlich hinter den Dämmen oft alte und große Flusslandschaften mit mückenfreundlicher Habitation.
Mir ist aufgefallen, dass die Dächer der Kirchtürme in der Gegend mega lang und spitz sind – gerade Flanken oder als Zwiebelturm mit vielen übereinandergestapelten Zwiebeln.
➡︎ 144 km, ⬆︎ 1900 m, ⬇︎ 2030m
Für den Start war das heute, am ersten Tourtag, doch ziemlich heftig. Es ist vielleicht nicht so viel, aber dieses ständige Auf und Ab, die teils ziemlich steilen Anstiege und die ungünstigen Untergründe machen es doch anstrengend. Wir dürfen nicht vergessen: In den letzten Tagen wurde gut getrunken und kein Sport betrieben – und auch wenn ich es gern verdränge: 46 ist halt auch nicht mehr 45 ½.
Aber um es auf den Punkt zu bringen: Der Tag war schön. Der Start bei Tina und Mathias, am Osser vorbei, über den kleinen Arbersee, Brennes und Arber, runter in den Nationalpark Bayerischer Wald – Lusen, Rachel (ich musste immer ans Forsthaus Falkenaudenken, diese alte Serie, die dort spielte) –, das wunderschöne Ilztal, hoch und runter ins romantische Passau, rüber nach Österreich und den Inn gen Süden.
Ziemlich gerädert und mit qualmenden Füßen habe ich das Nachtlager aufgeschlagen. Hoffentlich kann Henriette hier Energie für morgen sammeln. Sie hat schon wieder so viel mitgenommen, und ich bin fast versucht zu sagen: schwere, fette Truller. Aber bei dem düsteren Sommerwetter der letzten Tage hätte ich fast die Ausrüstung einer Arktis-Expedition eingepackt.
Doch was habe ich bitte für ein Glück, dass ich erst so spät losgekommen bin… Bumms! – herrlichstes Sommerwetter! Es waren heute so schöne Perspektiven: die Natur, das Licht, die Ortschaften mit den typischen Dächern und blumengeschmückten Balkonen – und zwischendrin die echt alten und schiefen Waldlerhäuser.
Morgen geht’s weiter… hoffentlich schaukelt es in der Hängematte nicht zu heftig.
Eigentlich wollte ich dieses Jahr eine längere Tour von 6 Wochen machen... oder vielleicht sogar länger. Aber wie das Leben so läuft, läuft es manchmal so, dass man umdisponieren muss.
Bis Juli hatte ich nicht wirklich Zeit mir überhaupt näher Gedanken zu machen und ich hatte nichts wirklich geplant und ins Auge gefasst. Da es mit meinen ToDos und Aufgaben zeitlich und finanziell nicht wirklich möglich war wusste ich es wird maximal was kleines. Ich war schon ziemlich traurig und genervt.
Als dann meine beste Freundin Martina meinte ob ich die erste Augustwoche nicht im Bayrischen Wald sein möchte und von dort aus etwas am Rechner arbeiten will dachte ich: Ach gute Idee, dann kommst wenigstens raus und dann sponn ich weiter... Vielleicht kann ich vom Woid aus, ein bis zwei Wochen mit Henriette etwas Pässe fahren.
Und so mache ich es jetzt auch. Ich habe ein paar Punkte/Highlights ausgesucht die ich vielleicht ansteuere, bei dessen betrachten ich bereits bei der Planung angefangen habe zu schwitzen😀
Also schauen wir mal wie und wohin Henriette und ich dieses Jahr radeln. Ich freue mich schon leicht!
















































































































































































































































































































