Dritter Oktober / Einheitstour von MD – Gardelegen – Salzwedel – Uelzen
➡︎ 147 km, ⬆︎ 590 m
Der Wecker klingelte um 7:30 Uhr, Frühstück und Unterwegs-Jami-Jami habe ich gestern Abend schon vorbereitet so das ich heute schon um spätestens 8 auf Henriette eine letzte weitere Tour des Jahres machen kann.
Ich war aber so müde und lustlos, dass ich immer wieder den Wecker gesnoozed habe. Ich hätte auch aufstehen können, denn im Halbdösen, sprangen meine Gedanken von… kacke, ich wollte doch… och nö, ich will gammeln… Scheiße, ich habe das Essen ja schon vorbereitet… ne ich will noch schlafen… aber ich schlafe ja garnicht… na toll, jetzt schaffe ich es zeitlich eh nicht mehr… vielleicht einfach ins Fiti und Büro-Kram machen… vielleicht einfach nicht stressen und einfach ein kurzes entspanntes Ründchen.
9:30 Uhr habe ich es geschafft, aus dem Bett zu stolpern, immer noch unsicher, was ich genau mache. Draußen nebelte es ordentlich – willkommen Herbst – aber die Sonne und der blaue Himmel versprachen einen guten Tag. Also entschieden: es wird jetzt doch geradelt… mit dem Wind entspannt nach Salzwedel. Dieses Jahr wird es das ansonsten mit dem Radeln gewesen sein. Nächste Woche eine kleinere OP (Ich lasse mir die Beine Verlängern... Scherz), die mit einem absoluten Sportverbot für die folgenden 4 Wochen einhergeht und dann kann ich minimal wieder etwas machen… und dann ist’s schon Ende des Jahres und mir Frostbeule eindeutig zu kalt im Winter.
Um 11:30 Uhr geht’s los. Es flutscht und ist bissel wie Elektroradfahren mit dem Wind von hinten. Um nicht zu frieren, muss ich bissel Kraft aufbringen, um mich zu erwärmen. Haldensleben und ab in die Colbitz-Letzlinger-Heide. Die Heidelandschaft ist bekanntlich auch geprägt von sandigen Böden. Ich bin ja der festen Überzeugung, dass Menschen, die für andere Menschen planen, das, was sie planen, auch mal selbst testen sollten. Und wenn Menschen Strecken als Fahrradwege planen oder freigeben, sollten sie diese auch mit einem entsprechenden Rad befahren. Wenn man sich durch kilometerweite Sandbuddelkisten fluchend quält, so wie heute mehrfach, denke ich mir oft: Zum Glück für die Planerinnen und Planer bin ich gerade nicht im Planungsamt.
Aber die Wälder, Wiesen und schnuckligen Orte in ihrer Abgeschiedenheit, der Herbstsonne und der Laubfärbung sind ein wahrer Seelenbalsam. Vor Gardelegen geht es durch einen kleinen Ort. Ein Auto kommt mir entgegen… das Nummernschild kennst du doch… hä… Eltern… ich, freudig winkend, um auf mich aufmerksam zu machen, schaffe es doch noch, den steif nach vorn gerichteten Blick meiner Eltern zu lösen. Wir halten beide an… ich muss ein Stück zurück… Reaktionszeit und Bremsweg haben etwas Strecke gemacht. Wir quasseln kurz und freuen uns über diese witzige Begegnung. Sie, aus den Pilzen kommend (unsere Familie hat schon immer hinter Gardelegen gesammelt… nicht gerade ums Eck), fragen mich, ob ich Kartoffelsalat und Würstchen mag. Coole Idee, ich hole mir das aber lieber heute Abend bei ihnen ab.
Weiter geht’s über Gardelegen in das wirklich schöne Salzwedel in der Altmark, eine wahre Fachwerkperle mit ihren Flüssen, die die Stadt durchziehen, und den Backsteinkirchen. Schön ist’s hier.
Ich liege super in der Zeit… das mit der Rückfahrt kann warten, also die 45 Kilometer nach Uelzen in Niedersachsen kannst ich zum Tag der Deutschen Einheit locker noch machen.
Bei der Überfahrt der ehemaligen innerdeutschen Grenze denke ich so: wie krass, hier war mal Schluss. Und ich bin dankbar und denke an die Zeit der Wiedervereinigung, das Gefühl damals: jetzt wird alles nur noch gut. Die Menschen werden alle weiser und das Zusammenleben wird ein Fest. Und heute frage ich mich, warum nach so vielen Jahren immer noch nach Ost und West unterschieden wird und so drauf rumgeritten wird. Und damit meine ich nicht das geografische Ost und West. Für mich nicht nachvollziehbar, denn ich fühle keine Grenze. Ich kenne Menschen aus so vielen unterschiedlichen Teilen des Landes, die ich liebe und schätze. Die Hälfte meiner Kontakte hätte ich ohne Wiedervereinigung nie kennengelernt, und ich fühle mich in Magdeburg daheim, aber auch in Bayern. Und nebenbei erwähnt, ja vielleicht gibt es Unterschiede, vielleicht ist auch was nicht immer perfekt gelaufen. Es hilft aber nichts über vergossen Milch zu jammern. Nach vor gucken und lächeln. In andern Ländern (ich glaube das gibts wirklich überall) gibt es strukturstarke und arme Regionen auch ohne DDR-Geseiere. Der Süden Italiens ist auch ärmer als der Norden. Und da gabs keine DDR und keine Wiedervereinigung.
Ich bin gern Deutscher, aber vor allem bin ich ein absoluter Fan von Europa – und ich fühle mich als Europäer. Und ich fühle mich als Erden-Mensch. Es ist doch so herrlich, wenn wir neugierig und mit großer Freude die Vielfalt unseres Landes, des Kontinents und der Welt erfahren dürfen. Mit Respekt und Demut vor Natur und Landschaft, den unterschiedlichen und bunten Menschen mit ihren eigenen Geschichten, Traditionen, Sprachen und Regeln. Die Welt ist ein vielfältiger Organismus, in dem es keine Arroganz des eigenen Seins aufgrund von Herkunft oder scheinbar normativer Orientierung geben sollte. Das ist wirklich dumm und völlig gegen die Natur. Wenn in einem Organismus Zellen meinen, sie seien besser, gleich und in ihrer Masse stark und unbesiegbar, dann ist der Organismus krank und funktioniert nicht mehr. Zellen, die andere Zellen nicht respektvoll behandeln, akzeptieren und zurückdrängen oder gar abtöten, zerstören letztlich sich selbst und die Überlebensfähigkeit des gesamten Systems, das in seiner vielfältigen Kleinteiligkeit wie ein unbeschreibliches Zahnwerk ineinandergreift. Dann würde man es Krebs nennen, der unwillkürlich den gesamten Organismus zerstört.
So, nun habe ich genug geschaffelt… Es geht auf die Zielgerade. Uelzen – auch hier denke ich jedes Mal: hübsch und lebendig. Anders, als man es vielleicht erwartet.
Schnell noch einen Kaffee an einer Tanke ziehen und schon mal ein Zugticket organisieren. Sch***… Schienenersatzverkehr nach Salzwedel. Hoffentlich kommt Henriette in den Bus. Erstmal proaktiv ein Ticket gekauft. Das sollte wohl ziehen – die können mich ja nicht hier stehen lassen. Es hat alles mit dem Ersatzverkehr und der DB geklappt, auch mit dem Anschluss nach Magdeburg. Muss man auch mal positiv erwähnen.
Es war eine schöne Tour mit 147 km und Rückenwind, auch wenn ich gerade ziemlich müde bin und mein Gesicht sich auf der Haut nach einem aufregenden Wintertag anfühlt.

























